Vom Traum, ohne „Inklusion“ auszukommen

Vor 140 Jahren – am 1. Dezember 1884 – gründete der aus Finningen (Landkreis Dillingen) stammende Priester Dominikus Ringeisen eine erste Heimstatt für Menschen mit Behinderung im schwäbischen Ursberg. Wie sich sein Dominikus-Ringeisen-Werk seitdem entwickelt hat

Datum: 02. Dezember 2024, 11:45 Uhr
Sr. Katharina Wildenauer, Romano Gurgi-Mondigi und Sarah Mang: Drei Menschen – eine Leidenschaft: den Alltag von Menschen mit Behinderung im Dominikus-Ringeisen-Werk immer weiter zu verbessern

Ursberg / 28. November 2024 – Eines scheint durch 140 Jahre Bestehen des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) hindurch gleich geblieben zu sein: „Als Dominikus Ringeisen am 1. Dezember 1884 seine ‚Anstalt‘ für Menschen mit Behinderung in der ehemaligen Prämonstratenserabtei Ursberg errichtete, bekam er zunächst die Genehmigung für zwölf zu betreuende Bewohner. Aber schon im folgenden Jahr war deren Zahl auf 40 angewachsen. Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage an Betreuungsplätzen war also von Anbeginn ein Thema“, erzählt die Generaloberin der St. Josefskongregation und Stiftungsratsvorsitzende der Stiftung Dominikus-Ringeisen-Werk Schwester Katharina Wildenauer (69). Auch heute, so Sr. Katharina, könnten längst nicht alle Anfragen auf Aufnahme von Menschen mit Behinderung in DRW-Einrichtungen berücksichtig werden, weil nicht genügend Plätze und Personal vorhanden seien.

Die Gründung der St. Josefskongregation 1897 und der Erwerb zahlreicher Gebäude und Grundstücke waren notwendig, um dieser stetigen Nachfrage nach Betreuungsplätzen und Personal Herr zu werden. Die Franziskanerinnen übernahmen nach dem Tod von Dominikus Ringeisen am 4. Mai 1904 die Einrichtung und bauten sie immer weiter aus. 

Räumliche Enge…
Sr. Katharina denkt zurück: „Ich war elf Jahre alt, als meine behinderte Schwester Marianne 1966 nach Ursberg kam. Ich hatte eine recht enge Bindung zu ihr, sodass ich alle sechs Wochen mit meinen Eltern die dreistündige Fahrt unternahm, um sie zu besuchen. Die Enge in den Schlafsälen und die Gerüche habe ich noch deutlich in Erinnerung, und meine Mutter war neben der Trennung von ihrer Tochter auch darüber bekümmert, dass unsere Marianne nicht einmal einen eigenen Schrank hatte.“ Jahre später – Sr. Katharina ist längst in die Ursberger Schwesternschaft eingetreten und unterrichtet als Lehrerin einer DRW-Förderschule – macht sie die Erfahrung: „Wir hatten fröhliche, ausgelassene Zeiten beim Grillplatz an der Förderschule oder beim Baden in der nahe gelegenen Mindel. Die Betreuten haben sich gegenseitig geholfen, sie passten aufeinander auf und halfen sich gegenseitig. Es herrschte eine frohe Atmosphäre.“ 

…und fachliche Weite
Schwestern und „weltliche“ Mitarbeitende, die mit den Jahrzehnten immer häufiger Leitungspositionen einnahmen, sorgten dafür, dass nicht nur baulichen Modernisierungen und Erweiterungen, sondern auch fachliche Professionalisierung in die Arbeit einflossen: So wurde in den 1970er Jahren die Fachschule für Heilerziehungspflege Ursberg gegründet. 1996 gaben die Schwestern das DRW schließlich in die Hände einer kirchlichen Stiftung.

DRW in jeder Lebenslage
Vieles hat sich seither verändert. Längst sind Einzelzimmer im gemeinschaftlichen Wohnen, Appartements und Siedlungen von Kleinsthäusern (Tinyhäuser), die von den Handwerksbetrieben des DRW in Eigenproduktion und unter Beteiligung von Menschen mit Behinderung erstellt werden, ein gewohntes Bild im DRW. Individualität und Teilhabe haben Einzug in den Alltag der Bewohner gehalten. An den über 30 Standorten des DRW in Schwaben, Oberbayern und Unterfranken arbeiten heute 5.000 Menschen für Kinder, Erwachsene und alt gewordene Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen wie „Schule“, „Ausbildung“, „Wohnen“, „Arbeit“ und „Freizeit“. Themen wie „Digitalisierung“ und „Nachhaltigkeit“ haben einen hohen unternehmerischen Stellenwert im DRW. 

Wenn „Inklusion“ nicht mehr gebraucht wird
Der Bildhauer und Künstler Romano Gurgi-Mondigi (61), der 1987 seinen Abschluss an der Fachschule für Heilerziehungspflege in Ursberg machte und heute in den ambulanten und offenen Hilfen des DRW in Augsburg tätig ist, bringt in seine Arbeit sein kreatives Potential ein und ermuntert in öffentlichen Kunstaktionen behinderte und nichtbehinderte Menschen zum gemeinsamen, schöpferischen Tun. Dieses Sichtbarmachen von Behinderung im öffentlichen Raum zeigt ein neues Gesicht der Arbeit. Die Scham sei vorbei. Der Stellenwert von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft habe sich verändert, sagt Gurgi-Mondigi. „In meiner Schulzeit in Billenhausen drohte man noch, „wenn du dich nicht anstrengst, kommst du nach Ursberg“. Inklusive Angebote wie diese Kunstaktionen bringen Menschen unterschiedlicher Befähigung einander näher und bauen Barrieren ab, ist die Erfahrung des Heilerziehungspflegers. Aber sein Traum geht weit darüber hinaus: „Toll wäre es, wenn sich der Begriff Inklusion irgendwann erübrigt. Dann hätten wir es geschafft.“

„Das war cool“
Eine, die diese Vision vielleicht noch Realität werden sieht, ist Sarah Mang (21), die ihren Abschluss erst im vergangenen Sommer an der Fachschule für Heilerziehungspflege gemacht hat und in einer Wohneinrichtung des DRW in Pfaffenhausen arbeitet. Sie gehört einer neuen Generation von Mitarbeitern an: Fachlich sehr gut ausgebildet und mit der klaren Vision, Menschen mit Hilfebedarf mittels intensiver Fokussierung auf deren persönliche Bedürfnisse und Fähigkeiten immer mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Bereits als Kind, erzählt Sarah Mang, durfte sie ihre Mutter in die Pfaffenhauser DRW-Einrichtung für blinde und sehgeschädigte Menschen begleiten. „Das war cool, weil ich in den Werkstätten mithelfen und bei Spazierfahrten einen Bewohner im Rollstuhl schieben durfte.“ So war ihr Berufsweg schon ganz früh klar. 

Wünsche für die Zukunft
Ihr Wunsch für die Zukunft: „Mithilfe unserer Fortbildungen gerade im Kommunikationsbereich auf die Bedürfnisse der Klienten immer besser eingehen zu können und ihren Alltag weiter verbessern.“ Das deckt sich mit den Wünschen von Sr. Katharina für die Zukunft des DRW: „Ich wünsche mir, dass wir weiterhin in der Lage sein werden, diese wichtige Arbeit zu tun, damit Menschen mit Behinderung einen Lebensort finden, an dem sie sich wohlfühlen und die Mitarbeitenden eine Aufgabe, die mehr ist als nur ein Job.“

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