Wenn die Kinder förderlich sind für die Karriere

Tatjana Wisura drückt mit Mitte 40 nochmal die Schulbank – Warum ihre Familie dabei eine große Rolle spielt

Datum: 22. Februar 2023, 11:43 Uhr
Tatjana Wisura absolviert derzeit ihre Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Mit Mitte 40 hat sie sich für einen Neustart entschieden. Ihre Familienzeit hat ihr dabei einen entscheidenden Vorteil gebracht.
Tatjana Wisura arbeitet in der Förderstätte des Dominikus-Ringeisen-Werks in Krumbach mit Menschen, die Unterstützung im Alltag benötigen. Die Förderstätte bietet diesem Personenkreis eine Tagesstruktur.

Krumbach/Ursberg/22. Februar 2023 –  Tatjana Wisura absolviert eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Nach ihrer Abschlussprüfung im Juli ist sie als Fachkraft bestens qualifiziert, um Menschen mit Assistenzbedarf im Alltag zu begleiten. Sie erzählt, warum sie sich mit 46 Jahren für einen beruflichen Neustart entschieden hat und warum ihre Familie sozusagen das Karrieresprungbrett war.

„Die beste Entscheidung meines Lebens“

Was tun, wenn nach fast 20 Jahren Hausfrauendasein die Kinder groß sind und der Haushalt langsam kleiner wird? Zu jung, um sich jetzt schon zurückzulehnen, aber längst noch nicht zu alt für einen Neuanfang. Dennoch brauchte Tatjana Wisura die eine oder andere Ermunterung seitens einer guten Freundin, um mit 46 Jahren das Wagnis Schule und Ausbildung auch tatsächlich in Angriff zu nehmen. Jetzt, mit 49 Jahren und kurz vor der Abschlussprüfung zur Heilerziehungspflegerin an der Fachschule für Heilerziehungspflege in Ursberg ist sie mehr als bereit, den Zuspruch an alle jene weiterzugeben, die sich nach der Kindererziehungszeit oder sonstigen beruflichen Umbrüchen noch einmal ganz neu orientieren wollen. Vor allem deshalb, weil sie durch die mindestens vierjährige Führung eines Mehrpersonenhaushalts in Verbindung mit dem Mittleren Schulabschluss die Aufnahmevoraussetzungen für die Heilerziehungspflegeausbildung erfüllt. In diesem Fall konnte sie sogar ohne das zweijährige Vorpraktikum direkt in die Ausbildung starten. „Das war die beste Entscheidung meines Lebens“, strahlt sie. „Dabei hatte ich schon Angst vor der Schule und ob ich nach all der Zeit den Anforderungen überhaupt gewachsen wäre. Aber die Unterstützung von Seiten der Dozenten ist wirklich enorm, wie überhaupt die ganze Schulfamilie sehr engagiert hinter ihren Auszubildenden steht. Außerdem sind noch drei weitere Frauen in meinem Alter in der Klasse. Aber auch mit den jüngeren Studierenden komme ich blendend zurecht.“ Nun ist es nicht so, dass Tatjana Wisura in ihrem ehemals erlernten Beruf als Hauswirtschafterin auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt gewesen wäre. Im Gegenteil. „Aber mir war es wichtig“, betont sie, „nicht an einen alten Wissensstand von vor 20 Jahren anzuknüpfen. Ich wollte etwas Neues lernen, mir neue Kompetenzen erwerben und in meinem Tätigkeitsfeld auch ganz auf der Höhe der Zeit sein.“

Enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis

Während sie an zwei Tagen in der Woche ganztägig den Unterricht an der Schule in Ursberg besucht, bekommt sie in 22 wöchentlichen Praxisstunden den Alltag in ihrem zukünftigen Berufsfeld hautnah mit. Dafür ist sie in der Förderstätte des Dominikus-Ringeisen-Werks am Krumbacher Marktplatz tätig. „Das ist sehr interessant und es macht Spaß, das im Unterricht Gelernte gleich in der Praxis zu erproben“, sagt Tatjana Wisura. „Ich bin ein kreativer Mensch und mit den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten in meinem zukünftigen Beruf kann ich Menschen mit Unterstützungsbedarf helfen, Alltagsfähigkeiten zu erhalten oder sogar wiederzuerlangen.“ In der Krumbacher Förderstätte werden Menschen mit erworbener Hirnschädigung betreut und gefördert. Menschen also, die durch Schlaganfall oder einen Unglücksfall aus ihrem bisherigen selbstständigen Leben gerissen wurden und nun alltägliche Fertigkeiten wiedererlangen wollen. Im Laufe ihrer dreijährigen Ausbildung war Tatjana Wisura, wie alle Studierenden, an verschiedenen Praxisstellen tätig. Unter anderem arbeitete sie im Edith-Stein-Haus in Thannhausen mit Erwachsenen mit geistiger und mehrfacher Behinderung sowie Menschen mit einer Diagnose aus dem schizophrenen, depressiven oder autistischen Formenkreis. „Das ist natürlich immer wieder eine neue Herausforderung und man muss oft sehr flexibel auf Menschen und Situationen eingehen“, erklärt Tatjana Wisura und berichtet von einer Arbeitsprobe, bei der auch ihre Praxisanleiterin zugegen war: „Ich wollte in der Adventszeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Gruppe ein weihnachtliches Gesteck gestalten und hatte in meinem schulischen Bericht bereits Thujazweige als Arbeitsmaterial angegeben. Dann erfuhr ich aber, dass eine Bewohnerin die Neigung hat, alles zu essen, was ihr in die Finger kommt. So musste ich ganz spontan die giftigen Thujazweige durch ungiftige Tannenzweige ersetzen. Bei der anschließenden Reflexion mit meiner Praxisanleiterin konnte ich diese Abweichung vom Vorbericht also gut begründen und wurde mit einer sehr guten Benotung belohnt.“

Die Töchter machten ihr Mut

Die Erfahrung, dass es mit den Schulnoten nicht immer ganz glatt läuft, musste Tatjana Wisura auch schon machen. Es hat sie aber auf eine ganz neue Weise ihren Töchtern nähergebracht. Früher sei sie es gewesen, die den Mädchen bei schlechten Schulnoten wieder Mut gemacht habe. Immer wieder habe sie ihre Töchter darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, bei Schwierigkeiten nicht gleich aufzugeben und es einfach noch einmal zu versuchen. „Und als ich dann selbst weinend mit meiner ersten Sechs in Englisch heimkam, haben mich meine Mädchen getröstet und gesagt: „Nicht aufgeben Mama. Nächstes Mal wird’s besser.“ Und beim nächsten Mal war es dann tatsächlich eine Vier.“ Sehr stolz seien beide Töchter auf ihre Mama, die quasi zeitgleich mit ihnen nun eine Ausbildung macht.

Weil Tatjana sich anfangs unsicher war, ob sie den schulischen Anforderungen gewachsen ist, stieg sie zunächst in die einjährige Ausbildung zur Heilerziehungspflegehelferin ein. Damit hatte sie nach einem Jahr bereits einen teilqualifizierten Ausbildungsabschluss in der Tasche. Aber mit ihrem sehr guten Notenschnitt und ihrer Motivation, weiter zu machen, war es Tatjana Wisura möglich, in das zweite Jahr der dreijährigen Ausbildung zu wechseln. Da sie zusätzlich Englisch als Schul- und Prüfungsfach belegt hat, kann sie, nach bestandener Abschlussprüfung, sogar die Fachhochschulreife vorweisen. Ein Studium wäre also möglich. „Aber das steht noch in den Sternen“, sagt Tatjana Wisura. Vielleicht braucht es auch da nur eine kleine Ermunterung.

Informationsveranstaltung an der Ursberger Fachschule

Am Freitag, 10. März, veranstaltet die Ursberger Fachschule für Heilerziehungspflege von 14 bis 16 Uhr eine Informationsveranstaltung rund um die Ausbildungsmöglichkeiten und Weiterqualifizierungsangebote an der Fachschule. Konkret geht es um Einstiegs- und Verdienstmöglichkeiten, Praktikums- und Ausbildungsstellen im Dominikus-Ringeisen-Werk, Freiwilliges Soziales Jahr und Bundesfreiwilligendienst sowie finanzielle Fördermöglichkeiten der Ausbildung für Quereinsteiger durch die Agentur für Arbeit.

Heilerziehungspflege ist ein krisensicherer Beruf und punktet vor allem mit seiner Vielfältigkeit. In der abwechslungsreichen und breit gefächerten Ausbildung werden schwerpunktmäßig medizinisch-pflegerische sowie psychologisch-pädagogische Inhalte vermittelt. Auch die Vielfalt der möglichen Praxisstellen, in denen neben den beiden Schultagen in der Woche bereits wertvolle Praxiserfahrung gesammelt wird, reicht von der Betreuung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen über Wohnangebote für erwachsene Menschen bis hin zu Freizeitangeboten, Werk- und Förderstätten sowie ambulanten Diensten.

Hier finden Sie alle Informationen zum Info-Nachmittag an der Ursberger Fachschule.

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